Herr Wöller möge als Zuständiger Verantwortung übernehmen und verschwinden
Das wöchentliche Blitzlicht aus dem Landtag
Eine Kolumne von Kerstin Köditz
Natürlich wäre es zu erwarten, dass nach der monatlichen Landtagswoche in Dresden diese das Thema meiner heutigen Kolumne wäre. Erst recht dann, wenn es zu diesem Thema eine Regierungserklärung des Ministerpräsidenten unter der Überschrift „Füreinander Verantwortung übernehmen. Miteinander handeln“ gab, und Corona sowie die unterschiedlicher Sichtweisen auf die Pandemie sowie die teils gegensätzlichen Vorstellungen über die notwendigen Maßnahmen ihrer Bekämpfung eine zentrale Rolle bei den beiden Landtagssitzungen spielten.
Aber, das berühmte große „Aber“. Aber dann kam der Samstag in Leipzig mit der Kundgebung auf dem Augustusplatz, die ein Spektrum von Thor Steinar bis Rudolf Steiner, von offenen Neonazis bis hin zu Esoteriker*innen, vereinte. Dieser Samstag, der für alle demokratisch denkenden Menschen einen sehr bitteren Nachgeschmack hinterlässt, weil er ein Staatsversagen und die Kapitulation des Rechtsstaats offenbarte. Jener Samstag, bei dem auf die fröhlichen Gesänge „Friede, Freiheit, keine Diktatur“ die martialischen Sprechchöre „Straße frei!“ und die Angriffe auf die Polizeireihen und auf dutzende anwesende Journalist*innen folgten.
Ich möchte klarstellen: ich bin grundsätzlich gegen Versammlungsverbote. Friedliche Kundgebungen und Demonstrationen sind ein Grundrecht. Punkt. Da gibt es nichts daran zu rütteln. Aber es geht eben auch, wie es der Ministerpräsident im Landtag sagte, darum, Verantwortung zu übernehmen. Die Stadt Leipzig hat versucht, beiden Forderungen gerecht zu werden. Der von ihr zugewiesene Kundgebungsplatz auf den Parkplätzen der Neuen Messe hätte ermöglicht, dass sich die Kritiker*innen der Pandemie-Schutzmaßnahmen unter Wahrung der Abstandsregeln hätten versammeln können. Dieser Ort hätte auch die Gefahr möglicher Konfrontationen minimiert. Das Verwaltungsgericht sah das genauso wie die Stadt.
Das Oberverwaltungsgericht in Bautzen kippte den entsprechenden Beschluss und wies den Anmeldern den ursprünglich gewünschten Ort, den Augustusplatz, zu. Über die Gründe der Entscheidung können wir nur spekulieren; sie werden erst in den kommenden Tagen veröffentlicht werden. Allein dies ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ein Unding. Es gibt eine zweite Sachse dabei, die mich sehr nachdenklich stimmt. Die Fachzeitschrift „Sächsische Verwaltungblätter“ hat zwei Redakteure, die zugleich Vorsitzende Richter am OVG Bautzen sind. Das ist normal und eigentlich auch gut so, wenn ausgewiesene Fachleute ein solches Blatt betreuen. Der erste Aufsatz in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift jedoch hat die Überschrift „Nächste Epidemie-Grippe? Zum Ausstieg aus der Corona-Pandemie“ und verniedlicht deutlich die Gefahren durch das Virus.
Zugelassen waren 16.000 Teilnehmende an der Kundgebung. Schon dies wäre viel zu viel gewesen, um die vorgeschriebenen Abstände wirklich einzuhalten. Aber das hatte ja ohnehin niemand der Anwesenden vor. Sie bewegten sich ohne Maske, ohne Verantwortung, ohne Abstand, ohne Anstand. Und es waren letztlich rund 45.000, also fast die dreifache Anzahl. Fast alle von ihnen entschlossen, die Auflagen nicht einzuhalten.
Was nach der folgerichtigen – und viel zu späten – Auflösung der Kundgebung folgte, habe ich in meiner langjährigen Tätigkeit als Beobachterin von Demonstrationen aller Art noch nicht erlebt. Die Polizei, die mit immerhin 3.200 Beamt*innen sowie allem technischen Gerät, was man sich vorstellen kann, vor Ort war, kapitulierte einfach sang- und klanglos vor den anrückenden Massen und zog sich zurück. Nazi-Horden konnten ungehindert durch die Innenstadt ziehen. Angriffe auf die Beamten wie der Beschuss mit Pyro-Technik sowie Steinwürfe blieben ungeahndet. Der lapidare Kommentar des Polizeipräsidenten: „Gewalt einzusetzen war für uns nicht angezeigt. Man bekämpft eine Pandemie nicht mit polizeilichen Mitteln, sondern nur mit der Vernunft der Menschen. Nur: es ging nicht um die Bekämpfung der Pandemie, sondern um die Verhinderung von Rechtsbrüchen. Genau das ist die Aufgabe der Polizei.
Sie hat dabei versagt. Die eingesetzten Beamt*innen mache ich keinen Vorwurf. Verantwortlich ist die Polizeiführung. Es zeigt sich als „sächsische Linie“, so zu verfahren wie am Samstag in Leipzig. Das ist die Schuld des Landespolizeipräsidenten, die des Polizeipräsidenten von Leipzig. Es ist aber vor allem die Schuld des Innenministers als ihres Dienstvorgesetzten. Jeder vernünftige Mensch hätte die Ereignisse vom Samstag so voraussagen können. Nur Innenminister Wöller und seine leitenden Polizeibeamten haben das nicht gesehen. Das ist Staatsversagen. Nichts anderes. Wir haben als LINKE deshalb eine Sondersitzung des Innenausschusses verlangt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Innenminister Wöller danach noch zu halten sein wird. Wie sagte der Ministerpräsident schon schön in der Überschrift seiner Regierungserklärung? „Füreinander Verantwortung übernehmen“. Also möge Herr Wöller als Zuständiger Verantwortung übernehmen und verschwinden. Endlich verschwinden. Das Maß ist voll.